«Ozark» predigte nie eine Moral, sondern breitet seine Geschichte in wechselnder Balance aus – mit unaufdringlichem Blick auf eine korrupte und heuchlerische amerikanische Gesellschaft. Die vierte und letzte Staffel bringt nochmals Hochspannung.
Claudia Schwartz
Zum Auftakt der allerersten Folge, wir waren noch «Ozark»-Anfänger, gab es eine kleine Einführung. Und sie war wie ein Gebet: «Mammon, Moneten, Kohle, Zaster, Mäuse, Kröten, Schotter – Geld.» Aber was ist Geld? Nur ein Tauschmittel, doch irgendwie Sicherheit oder gar Glück? «Es ist alles, wenn man es nicht hat», raunte die Stimme von Marty Byrde (Jason Bateman) aus dem Off, «ein Mass für die Entscheidungen eines Menschen.»
Damals war das mexikanische Drogenkartell, für das der Finanzberater Marty und sein Compagnon Geld wuschen, darauf gekommen, dass Martys Partner acht Millionen Dollar unterschlagen hatte. Marty und seine Familie kamen nur mit dem Leben davon, weil er die Mexikaner besänftigte mit dem Versprechen, noch mehr Geld zu waschen.
Seither haben wir Tonnen von Narcodollars kommen und wieder gehen sehen, wie sie im Touristenparadies am Lake of the Ozarks von Marty über Scheinfirmen wie einen Stripklub, ein Hotel, ein schwimmendes Kasino und sogar die Kirche geschleust worden sind. Was als Flucht zwecks nacktem Überleben begann, florierte schnell. Der Weg allerdings war bald mit Leichen gepflastert; das Leben der Byrdes war nicht mehr das gleiche.
Blutiger Übergang
Zum Auftakt der vierten und letzten Staffel werden wir nun zurückgebeamt in den grausigsten Cliffhanger, seit es «Ozark» gibt. Die Mexikaner hatten am Ende von Staffel drei (Achtung, Spoiler!) der Anwältin Helen Pierce (Janet McTeer), sie war kaum aus dem Privatjet gestiegen, flugs das Hirn aus dem Kopf geblasen. Noch im Schock, sind Marty und Wendy dabei, sich Blut und Gewebeteile, die auf sie spritzten, aus Kleidern und Haaren zu kratzen.
Fünf Jahre und vier Staffeln nach dem Umzug in die Ozarks blicken wir nun also auf die neuen Auserwählten des Drogenbosses Omar Navarro (Felix Solis). Und es ist ein ekliges Bild.
Wieder zu Hause, sitzen die Byrdes am Familientisch, mit jener mittlerweile wohlbekannten, aber immer sehr beneidenswerten Aussicht auf den still daliegenden See. Geld ist definitiv nicht mehr eine Frage des Überlebens, wenn Mutter Wendy (Laura Linney) sich jetzt ausmalt, wie man – mit Hilfe des FBI notabene – bald zur «reichsten Familie des Mittleren Westens» aufsteigen wird.
Dem vierzehnjährigen Sohn Jonah (Skylar Gaertner) kommt die Rolle des Realisten in der Familie zu, da er bemerkt: «Die Leute werden herausfinden, woher das Geld kommt.» Darauf Wendy: «Wach auf! Dies ist Amerika! Den Leuten ist es egal, woher dein Reichtum kommt.» Willkommen im Endspiel von «Ozark», hier liegt Amerika!
Fremd im eigenen Land
Bis zu diesem Punkt erzählte Netflix’ vielleicht beste Serie die Geschichte des amerikanischen Traums rückwärts. Eine nach aussen propere Mittelstandsfamilie mit ehemaligem Häuschen in den Suburbs von Chicago stieg hinab in den Sumpf von Missouri. Und fand sich wieder umgeben von jenem Milieu, das Obama als «verbitterte Individuen» bezeichnete, die sich «Gott, Gewehren und Fremdenfeindlichkeit» zugewandt hätten, «um sich besser zu fühlen».
Angesichts dieser demokratischen Wahlkampfrede 2008 haben die Hinterwäldler wohl Rache geschworen. Jedenfalls sind die Byrdes zwischen Kleinstgewerblern wie den Langmores und Opiumbauern wie den Snells tatsächlich Fremde geblieben.
Die amerikanische Kritik bekundete anfangs Mühe mit dieser Serie, die fast gleichzeitig mit Trumps Wahl zum US-Präsidenten den amerikanischen Kulturclash diagnostizierte. «Ozark» predigte bei all dem nie eine Moral, sondern breitete seine Geschichte der wechselnden Balance in einem ständigen Zustand des Grauens kunstvoll aus. Der Blick fällt dabei unaufdringlich auf eine korrupte und heuchlerische amerikanische Gesellschaft.
Mit der Miene des verantwortungsvollen Familienvaters
Mittlerweile würde bei «Ozark» niemand mehr von einem Abklatsch von «Breaking Bad» sprechen, zu eigenständig, zu überraschend entfalten sich hier die Charaktere bis in die Nebenrollen. Dank hinreissenden Darstellern wie Laura Linney, Jason Bateman, Sofia Hublitz, Skylar Gaertner und natürlich allen voran Julia Garner als Ruth Langmore wurden uns hier ein paar der wunderbarsten Figuren der Filmgeschichte geschenkt. Etwas, was man mitnimmt, wenn diese Serie nun zu Ende geht.
Marty Byrde zum Beispiel, der ständig die schlimmsten Dinge tut und immer noch mehr Geld anhäuft mit der Miene des verantwortungsvollen Familienvaters. Im Gegensatz zu Ehefrau Wendy, die sich längst verabschiedet hat von irgendwelcher Selbstrechtfertigung.
Bei Wendy hat sich die anfänglich praktizierte Amoralität, um die eigene Haut zu retten, in kaltblütigen Unternehmergeist verwandelt, mit dem sie auch in «The Godfather» eine gute Figur machen würde. Die ehemalige Politikberaterin darf in der letzten Staffel nochmals den ganzen Irrwitz, das Selbstironische dieser Serie vorführen, wenn sie eine gemeinnützige, von gewaschenem Geld alimentierte Stiftung plant, mit der sie dann auch gleich ihren eigenen ramponierten Ruf reinzuwaschen gedenkt.
Goodbye, Ruth!
Man könnte diese Serie anhand der jeweiligen Perspektiven ihrer Figuren nochmals neu und anders erzählen in all ihren Widersprüchen, Gegenläufern, Wiedergängern.
Müsste man aber die Seele von «Ozark» umreissen, dann hiesse das Kapitel «Ruth». Diese junge Frau hat sich als Einzige noch einen moralischen Kern bewahrt, aber es besteht die Gefahr, dass auch sie aus lauter Verzweiflung den Kompass verliert.
In einer grossen Szene trauert Ruth hier nochmals um ihren geliebten Ben. Die Kamera ruht lange auf Julia Garner, der ganze Schmerz über Bens Ermordung und die Auflösung der Allianz mit den Byrdes flackert noch einmal über dieses durchscheinende Gesicht, bis Ruth sich in einsamem Schluchzen beinahe auflöst – letzte Überlebende des Langmore-Clans. Julia Garner ist in ihrem Wechselbad von Kalt und Heiss, von Härte und Verletzlichkeit überhaupt die filmische Entdeckung der letzten Jahre; der Abschied von «Ozark» schmerzt auch deshalb, weil es ein Abschied von Garner in dieser Rolle ist.
Die Spannung steigt noch einmal
Obwohl die Dinge sich bis anhin so entwickelten, dass der mörderische Wirtschaftszweig schon wie das normale Leben aussah, planen die Byrdes nun allen Ernstes ihren Ausstieg, die Rückkehr nach Chicago. Dabei gelingt der Serie zum Schluss das seltene Kunststück, die Spannung nach vier Staffeln tatsächlich noch einmal zu steigern.
Der Druck von aussen wie von innen nimmt zu: Ruth ist aus Verzweiflung über den Tod von Wendys Bruder Ben zu Darlene Snell übergelaufen; als Geldwäscher für Ruth arbeitet Jonah Byrde, der auch genug hat von seiner Familie. Darlene (zum Niederknien: Lisa Emery) will Navarro den Heroinhandel abspenstig machen, der allerdings bald alle Hände voll zu tun hat, weil sein Neffe sich wie ein überambitionierter und hitzköpfiger Dummkopf benimmt.
Und Marty und Wendy? Sie werden zwar nicht mehr gejagt vom Drogenkartell, befinden sich nun aber zwischen allen Fronten. «Erst brauchen wir das Geld, und dann müssen wir alle kaufen», schlägt Marty vor. «Irgendwie müssen wir Omar Navarro zu einem normalen Bürger machen», antwortet Wendy. «Und dann müssen wir Darlene Snell davon überzeugen, den Heroinhandel einzustellen», fügt er hinzu. «Natürlich müssen wir das», beendet Wendy das Gespräch. Was man halt so sagt im Leben, bis man sich mit der eigenen Existenz abgefunden hat.
«Ozark». Staffel 4, Teil 1 (à 7 Folgen). Der Start des zweiten Teils (mit 7 weiteren Folgen) ist noch 2022 geplant. Bei Netflix.
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Claudia Schwartz
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Natalie Gratwohl